5. April 2017
Dortmund. Stockender Verkehr, Stau, nichts geht mehr, dazu Lärm und jede Menge Luftschadstoffe: Unser Verkehr in den Städten fährt am Limit. Beispiel B 1 Stadtgebiet Dortmund: Die geschichtsträchtige Stadtallee und Hochleistungsstraße soll deshalb volle Fahrt voraus erhalten – nicht nur im Westen, jetzt auch im Osten, zuletzt sogar in der Mitte. Sechsspuriger Ausbau zur A 40, Tempo 130 und an die 12
Meter hohe Lärmschutzwände, hinter denen dann die Gartenstadt, Westfalenpark und Stadtkrone liegen: Sieht so die Zukunft einer intelligenten Verkehrs- und Stadtplanung aus? „Nein“, meint der Bund Deutscher Architekten (BDA) und mischt sich ein: mit Argumenten, mit Sach- und Fachkenntnis, mit einem öffentlichen Fachgespräch und der Einladung zum Dialog.
In Zusammenarbeit mit der Initiative B1 Dortmund plus (mehr Informationen unter http://www.b1-dortmund-plus.de) fand jetzt im INHOUSE an der B 1 ein öffentliches Symposium statt. Das Thema: „Stadt-Identität und Großinfrastrukturen im Planungsdialog“
Zum Hintergrund:
Die „städtische Hochleistungsstraße“ ist gebaute Realität, kommt allerdings im Gegensatz zur Stadtautobahn in den technischen Regelwerken in Deutschland nicht vor. Vielleicht, weil die Konflikte aus Ansprüchen als funktionierender Verkehrsweg, Lebensraum und Bedeutung als Marke einer Stadt nicht lösbar erscheinen.
Aber neue Lösungen sind dringend nötig. Der BDA will dabei helfen, sie zu suchen und in einem Planungsdialog zu finden. Dazu hatte der Bund Deutscher Architekten in Kooperation mit der Initiative B1 Dortmund plus Experten eingeladen, die Fakten und Fachwissen zum Thema lieferten.
Haben Hochleistungsstraßen eine städtebauliche Bedeutung und wie tragen sie zur Stadt-Identität bei?
Das fragte zuallererst Prof. Dr.-Ing. Felix Huber von der Bergischen Universität Wuppertal, Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen. Selbstverständlich haben sie das, stellte der Professor sofort klar. Deshalb kann eine urbane Hochleistungsstraße im Stadtkörper wie zum Beispiel die geschichtsträchtige B 1 in Dortmund nicht nur, sie muss sogar schön sein. Das Erleben von Stadt von der Straße aus, das Erleben von Landmarken, von Architektur rechts und links und großen grünen Seitenräumen sei unabdingbar, mache erst die Qualität einer stark frequentierten Stadtstraße aus. Er forderte unbedingten Verzicht auf klassische Lärmschutzmaßnahmen, wenn ein städtebaulicher Schallschutz möglich ist.
Denn „eine schöne
Hochleistungsstraße
ist Ort der ersten Wahrnehmung und
eine der wichtigsten Imageträgerinnen einer Stadt!“
Ideenwettbewerbe Straße, Raum, Stadt
So hieß der zweite Vortrag. Prof. Dr.-Ing. Hartmut H. Topp, Technische Universität Kaiserslautern und Motor von topp.plan, warb für das Denken in Alternativen. Andere wollen ihn, Dortmund habe ihn längst, den Stadtboulevard, so Topp. Sich in der schwierigen Verkehrsplanung, bei Straßengroßprojekten bloß nicht früh festlegen, sich auf überraschende Ergebnisse einlassen, war sein Credo. Anhand von guten Beispielen aus Ludwigshafen, Hannover oder Augsburg machte der Experte deutlich, wie wertvoll Ideenwettbewerbe und Ideen-Werkstätten zu originär verkehrlichen Fragestellungen sein können. Die Dortmunder sollten offen dafür bleiben. Und nach der funktionalen Qualität, der städtebaulich-freiräumlichen Qualität und der architektonisch-gestalterischen Qualität fragen und gute Antworten fordern.
Warum das Großprojekt Stuttgart 21 beim Bürger so sauer aufstieß und dann – wie wir wissen – auch gründlich schief ging, das erläuterte Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft in seinem Vortrag
Verkehrsinfrastruktur: Kommunikation und Bürger-Dialog in den Leistungsphasen der Ingenieur-Planung
Vorhabenträger müssen sich heute auf veränderte Ausgangslagen für Infrastrukturprojekte einstellen, zeigte er auf. Akzeptanz durch rechtliche Verfahren alleine genügt nicht mehr. Kommunikation müsse hergestellt werden, und die systematische Planung der Kommunikation müsse ein fester Bestandteil des Projektmanagements sein.
Dabei kommt der Sprache eine besondere Bedeutung zu, Begriffe müssen verständlich sein, Fachchinesich aus dem (Tief-)bau-Kosmos schaffe nur Distanz zwischen Planern/Behörden und Bürgern. Ein „Überwerfungsbauwerk“ ist und bleibt nun einmal eine Brücke…
Brettschneider mahnte an, frühzeitig das Gespräch zu suchen und ständig im Dialog zu bleiben – mit allen (technischen) Möglichkeiten der modernen Kommunikation. Das könne der Blog im Internet sein oder auch ein buntes Fest in der Baugrube.
Für die Recherchen zu seinem Vortrag hatte Dr. Peter Kroos von Kroos+Schlemper Architekten und Vorstandsmitglied der BDA-Gruppe Dortmund Hamm Unna Stunden um Stunden im Archiv der Stadt Dortmund verbracht. Sein Part:
Die Stadtallee des Rheinland- und Westfalendamms in Dortmund: Planung, Bestand und Erhalt des einstigen Schmuckboulevard
Ja richtig gehört, die B1 war einst ein Schmuckboulevard, und Dr. Kroos konnte erstaunliches Bildmaterial dazu liefern und Pläne aus allen Epochen zeigen, die noch nie öffentlich zu sehen waren.
Seine Visionen nach einem anschaulichen Ritt durch die Geschichte des einstigen Schmuckboulevards, der zur Schnellstraße wurde und leider aktuell einen „sichtbaren Hang zum Niedergang der Baukultur“ zeigt:
„Rheinlanddamm und Westfalendamm werden wieder zur Visitenkarte Dortmunds!“
Schließlich lieferte Prof. Dr.-Ing. Bert Leerkamp von der Bergischen Universität Wuppertal, Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen, den planerischen und rechnerischen Beweis, dass mehr Tempo auf der B1 nicht automatisch mehr Fluss bedeutet. Er hatte sich das Thema
Straßennetzkonzeption im Raum Dortmund und Verkehrsqualität der B1/A40
vorgenommen.
Sein Fazit am Ende von Fachwissen, Folien und Fakten:
♦ Die B 1 ist Deutschlands vielleicht schönste Hochleistungsstraße.
♦ Die „letzte Ampel zwischen Berlin und Amsterdam“ stört den Verkehrsfluss, aber die Ausbaupläne des Bundes schütten das Kind mit dem Bade aus.
♦ Alternativen sind denkbar. Vor einer Entscheidung müssen sie ausgearbeitet und verglichen werden.
♦ Ein gut gestalteter Dialogprozess kann dafür sorgen, dass es endlich schneller voran geht.
♦ Die Aufstufung des Vorhabens im BVWP 2030 (von WB nach WB*) liefert die Grundlage für eine ausgewogene Neuplanung.
♦ Ausgangspunkt ist eine Neujustierung der Netzkonzeption.
♦ Lärm und Luftschadstoffe bleiben ein wichtiges Thema!
Am Ende des Tagungsprogramm stand noch eine
Moderierte Diskussion im Plenum
Die Teilnehmer hatten da schon mehr als drei Stunden intensiv zugehört, alle waren angetan von dem Format und der Fachlichkeit der Diskussion. Nicht nur BDA-Sprecher Richard Schmalöer, der das Symposium moderiert hatte, auch Prof. Bert Leerkamp äußerte die Hoffnung, dass die Tagung ein Anfang sein könne, um beim Thema Ausbau B1 weiterzumachen und den Dialog nicht nur zu beschwören, sondern auch zu pflegen:
„Für ein gutes Ergebnis für Dortmund.“