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REALITÄT DES MÖGLICHEN – Architekturwochen NRW 2023

16. Oktober 2023

© Björn Martenson

ARCHITEKTURWOCHEN NRW 2023

Der Titel mit dem der BDA Aachen die Abendveranstaltung im Rahmen der Architekturwochen NRW 2023 überschrieben hatte, traf es schon ganz gut. DIE REALITÄT DES MÖGLICHEN war als Vortrag angekündigt, „der nicht nur Werkbericht sein will, sondern auch Einblicke in die Prozesse und Denkweisen gibt, die hinter baulichen Transformationen stehen“.

Es ging also einerseits um handfeste Realität, um Herausforderungen in der Praxis und die unvorhersehbaren Überraschungen, die Bestandsgebäude für Architekt:innen bereithalten. Andererseits führt die Auseinandersetzung mit dem, was schon da ist, mit Vorgaben und Einschränkungen aber auch zu unerwarteten Lösungen und eröffnet Experimentierfelder und Möglichkeiten.

Wohnhaus am Schliersee | Multerer Architekten | © Sebastian Schels

Eingeladen war Sebastian Multerer aus München. Sein Büro beschäftigt sich überwiegend mit dem Um- und Weiterbau von Bestandsgebäuden, vornehmlich Wohngebäuden. Am Beispiel einiger Projekte veranschaulichte Multerer wie sich die unvermeidliche „Realreibung“, wie er sie nennt, im Planungs- und Entwurfsprozess aktiv nutzen läßt. Aus konstruktiven Herausforderungen werden so beispielsweise Gestaltungselemente, wie bei einem ehemaligen Bauernhof in Wettstetten, der zu einem Mehrgenerationenhaus umgebaut wird. Bei einem malerisch gelegenen Wohnhaus am Schliersee aus den sechziger Jahren waren es die Einschränkungen einer restriktiven Gestaltungssatzung, die das Erscheinungsbild des Umbaus wesentlich mitprägen und sich auch in formalen und kompositorischen Entscheidungen im Innenraum wiederfinden. 

Umbau in Wettstetten | | Multerer Architekten | © Sebastian Schels

Ein wichtiges Werkzeug im Arbeitsalltag sei der „großmaßstäbliche Modellbau im Maßstab 1:20“, so Multerer. Sie seien bei der Bestandsaufnahme der vorgefunden räumlichen und konstruktiven Situation oder der Erprobung von Entwurfsideen hilfreich. Ein Blick auf die Webseite von Multerer Architekten lässt vermuten, dass Modelle offenbar auch die sonst üblichen Renderings als Kommunikationsmittel mit der Bauherrschaft ersetzen. Vielleicht keine schlechte Idee, um der Gefahr von zu früh festgelegten Bildern durch detaillierte Visualisierung oder unpassende Referenzbilder (Stichwort: „Pinterest“) zu entgehen und zu einem dem Planungsstand angemessenen Diskurs auf Augenhöhe zu gelangen. 

Modell des Projektes Wettstetten | | © Multerer Architekten

Die Bedeutung von vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Auftraggeber:innen zeigte übrigens auch der Veranstaltungsort. Passenderweise wurde der Vortrag in einem laufenden Umbau in Aachen Herzogenrath gezeigt. Das Projekt von AMUNT Martenson ist ein Umbau eines historischen Gasthofes aus dem 17. Jh., der bereits mehrfach überformt wurde und zuletzt eine Disco und ein Bordell beherbergte. Obwohl noch im Rohbaustadium sind die späteren räumlichen Qualitäten der vier geplanten Wohnungen bereits gut zu erkennen. Die Bauherrin war als Gastgeberin samt Familie und Freunden vor Ort und beteilige sich lebhaft an den reizvollen Spekulationen über alternative Raumkonfigurationen und Möglichkeiten, der über drei Ebenen verschnittenen Wohnungen.

Am Ende, das zeigten auch die Literaturhinweise, die Multerer als Beispiele seiner Inspirationsquellen vorstellte, spielt die Lesart von Architektur, von Vorhandenem und Vorstellbarem eine entscheidende Rolle. Wie wir Bestandsgebäude weiterentwickeln hängt davon ab, welche Aspekte wir als erhaltenswerte Qualitäten oder Potenziale unserer gebauten Umwelt erkennen.

Nicole Richter